Im Süden

Im Süden

Henchung, 06.02-13.02

Große Pläne und kaum was davon umgesetzt. Vom Tauchen geträumt und vergessen, dass ich am Meer bin. Das war die letzte Woche. Doch dafür war sie viele andere Dinge. Sie war Freundschaft, Emotionen, ein nochmal neues Jahr und der Einzug der Normalität.

Nach Hengchun zog es mich ursprünglich auf Grund der Landschaft. Hier im Süden trifft Nationalpark auf Ozean. Grüne auf blaue Weiten, wenn man so will. Es ist ein Ort für Surfer und Taucher, fürs Radfahren und für Strandpartys.

Die Stadt selbst ist klein und geballt. Einen richtigen Gehweg habe ich lange nicht mehr gesehen. Ein Grund, warum ich in dieser Woche für so ziemlich jeden Weg das Rad genommen habe. Das ist hier eine sehr einfache und gemütliche Sache, denn Leihräder stehen an etlichen Stationen in der Stadt und nutzen kann man sie einfach mit der nationalen Easy Card (über die fahr ich auch Bus, Zug und Metro).


Doch das wir uns noch immer in der Nebensaison befinden war deutlich zu spüren. Das Hostel war wieder mal relativ leer gefegt, sodass unsere einzigen Mitmenschen das Hostelpersonal und ihre Freunde waren. Das war zu Zeiten lustig, zu anderen ziemlich anstrengend. Aber dazu später mehr!

Diese Woche sollte etwas anders aussehen, denn ich war nicht alleine. Meine Freundin Helia, die ich an meinem ersten Tag in Taiwan kennengelernt habe, und ich hatten geplant unsere Zeit in Hengchun gemeinsam zu verbringen. Mit ihr waren noch zwei andere von unserer Sorte (Backpacker) im Hostel. Mal wieder eine Gruppe Menschen um mich herum zu haben tat gut merkte ich.
So verbrachte ich den ersten Abend in großer Gemeinschaft. Das Hostelteam lud uns auf selbst gemachten Glühwein ein und er schmeckte wie Weihnachten. Dieses Gefühl zu erwecken war tatsächlich die Intention dahinter, was mich überraschte. Ist Weihnachten hier doch ein Ding oder haben sie sich einfach ein paar Traditionen rausgepickt, die ihnen gut gefallen? Wahrscheinlich ist es letzteres.

Der Aufbau des Hostels war großartig. Zum ersten Mal hatte ich ein Fenster in meinem Zimmer, hatten wir einen privaten Gemeinschaftsbereich, hatten wir Sofas und Platz die vorhandene Yoga-Matte auszurollen. Für mich war das der größte Luxus.


Mittwoch

Den Strand hatte ich bei meiner Ankunft schon kurz erspäht und so war schwimmen alles, woran ich heute denken konnte. Doch es setzte wieder dieses altbekannte Phänomen ein, was glaub ich nur das Reisen bewirken kann.
Eine überwältigende Müdigkeit und große Träge, von der man einfach nicht weiß, woher sie kommt. So wollte ich mich nach dem Frühstück einfach nicht aus dem Bett bewegen. Es ist frustrierend - ich bin an diesem wunderbaren Ort, der schönste Strand nur ne viertel Stunde entfernt und doch reicht es nicht, um meinen Hintern hoch zu kriegen.

Dieses Mal kam die Erkenntnis schneller, als an anderen Tagen. Grundlos müde und faul war ich ganz und gar nicht. Ich ging die vergangenen Tage in meinem Kopf durch und bemerkte, dass ich mich nicht mal an den letzten erinnern kann, an dem ich nicht von morgens bis abends auf den Beinen war.
Auf Tage voller Arbeit folgten Tage voller Radtouren, folgten Tage in der Stadt, folgte noch mehr Arbeit. Es ist wahrlich erstaunlich, wie schnell ich den Überblick über all das vergesse. Wie es jedes Mal wie ein kompletter Neustart ist, sobald ich den Ort wechsle. Ja so vergisst mein Kopf, doch mein Körper und Geist tut es nicht.

So blieb ich noch etwas liegen, unterhielt mich mit meiner Freundin, bevor wir uns um ein Mittagessen bemühten und zum Strand fuhren. Und gut, dass wir das taten. Noch nie badete ich in solch warmen Wasser. Es fiel mir nicht mal schwer! Ich tauchte direkt ein und blieb für ne Stunde. Das Meer kam mir ungewöhnlich salzig vor und es war der Durst, der mich letztendlich wieder ans Land trieb.

Hier zu sein weckte Erinnerungen in mir. In dieser Wärme und diesen großartigen Wellen würde ich mit meinem Bruder den ganzen Tag stehen. Wir würden Wasser-Rugby spielen, hoch springen und weit fallen. Am Ende des Tages wären wir so k.o. und hätten einen solchen Sonnenbrand. Doch es wäre einer der besten Tage überhaupt gewesen. Solch einer, an den ich mich noch Jahre später wohlig erinnere. So wie ich es grade tue, mit all den Tagen, die wir so in Portugal verbracht haben.

Es war wunderbar, doch sollte es der einzige Tag bleiben, an dem einem der Wind nicht die Haare vom Kopf pustet.


Donnerstag

Es waren viele kleine Dinge, die dieser Woche ihre Schönheit schenkten.

Als ich mich heute Morgen zum Dehnen bereitmachte lief mein Zimmernachbar Claude an mir vorbei. Wie so viele sprach er mir positiv zu, meinte, dass er das ja auch mal wieder machen sollte, es wäre gut für ihn. Ich hielt inne. Normalerweise würde ich das Gespräch hier beenden und mich wieder meiner Morgenroutine widmen. Es ist mir eine kostbare Zeit und Unterbrechungen, die stressen mich. Gleichzeitig kam mir das sehr eigensinnig vor. So war ich selbst von mir überrascht, als ich ihm die Matte anbot und ihn einlud mitzumachen. Wenn ich einer Person dabei helfen kann etwas zu starten, was sie gerne machen will, doch vielleicht nicht über ihre eigene Sperre hinaus kommen kann, dann ist das doch ganz toll.

Nach kurzer Überredung rollte er neben mir die Matte aus und wir machten ein Paar Übungen zusammen. Ich konnte mich immer noch auf meinen Morgen konzentrieren, doch es fühlte sich besser an, denn ich hatte grade jemandem geholfen auch einen besseren Morgen zu haben. Kurz darauf schloss sich Helia uns an. Es war ein ganz heimeliges Gefühl in dieser kleinen Gruppe meinen Tag zu starten. Die anderen Bewohner, die an uns vorbeigingen mussten kichern. Es war bestimmt ein witziger Anblick.


Um Henchung herum, entlang der großen Straßen, die zur Stadt hin und weg führen befinden sich unzählige Aktivitäten. Und neben Paintball, Ponyreiten und Kartfahren gab es eben auch einen Capybara-Zoo. Gekennzeichnet war dieser jedoch als ökologischer Park. Hätte ich gewusst, dass es eben kein Park ist, in dem die Tiere frei leben, dann wäre ich wahrscheinlich nicht gegangen. Doch so sahen wir es erst, als es schon zu spät war. So richtig konnte ich nicht beurteilen, ob die Haltung der süßen, süßen Herbivore artgerecht war. Wie vernarrt die Menschen in die Tiere sind war jedoch unschwer zu erkennen. Und um ehrlich zu sein bin ich es auch. Nur zu gern hätte ich sie gekuschelt und in den Arm genommen. Aber das tat ich natürlich nicht. Ich versuchte zu genießen, das Privileg zu haben die niedlichen Nager aus der Nähe zu betrachten, sie zu füttern und hoffte dann, dass die 200NT$ Eintritt ihrem Wohlergehen zu Gute kommen.


In dieser Woche ist es zum ersten Mal passiert, dass Menschen dachten ich spreche Mandarin. Die Aussprache meines „Xie xie“ (Danke) wird wohl besser. Auch habe ich hier geballt die meisten Kommentare zu meiner Erscheinung bekommen. Nicht nur noch mehr Kinder, die mich verblüfft angeguckt haben, sondern auch ne ganze Reihe ältere Frauen, die mich für die Helle Haut bewunderten und mich fragten, was ich denn essen würde, damit die so aussieht. Mir war das zu Beginn wirklich sehr unangenehm. Doch die Menschen sind einfach interessiert und so blond wie ich ist hier sonst halt eben keiner.

An diesem vergangenen Wochenende war auch das Chinese Lunar New Year. Das dies der höchste und größte Feiertag für das Land ist war unschwer zu erkennen. Die Neujahrs Feierlichkeiten ziehen sich über fast eine ganze Woche. So gab es Feuerwerk an jedem Tag, so waren die Geschäfte mal alle zu, dann wieder auf, um am nächsten Tag wieder geschlossen zu sein.

Wir kochten viel in dieser Zeit, ganz zum Ärger des Hostel Teams. Na gut, so deutlich haben sie uns das nicht gesagt. Unwohl haben sie uns aber dennoch fühlen lassen. Jeden unserer Schritte in ihrer Küche beobachteten sie. Nie wusste man, was benutzt werden durfte und was nicht. Das war ähnlich, wie mit seinem Vermieter zusammen zu wohnen: UNANGENEHM.


So vergingen die Tage mal leiser und mal lauter. Ich genoss die Normalität, die Eindrang fand und gleichzeitig war sie es, die mich erinnern ließ. Erinnern daran, was ich alles zurückgelassen habe, um jetzt hier zu sein. Ne, das war nicht unbedingt alles froh. Doch es gehört dazu und ich hatte eine gute Freundin, die die ganze Zeit an meiner Seite war.


Freitag

Helia hatte ein Café, etwas außerhalb der Stadt, gefunden zu welchem sie gerne wollte. Wie sich herausstellte, war es ziemlich außerhalb der Stadt und ich sah entmutigt dieser zweiten Radtour des Tages entgegen. Von dem Fahrradsitz tat mir so der Hintern weh.

Wir kamen dort an und al mein Unmut war vergessen. Das Cafe war umgeben von Gärten und Feldern. Tische und Stühle waren weitläufig auf einer großen Rasenfläche verteilt, die an einen Fluss grenzte. Zu dieser Jahreszeit war von diesem jedoch nur ein Rinnsal übrig.

An diesem Ort wurden schon die schönsten Sommertage verbracht, Feste gefeiert, Erinnerungen für die Ewigkeit geformt. Das Mobiliar war zum größten Teil selbst gebaut, genauso wie die Küche und genauso, wie das Baumhaus. Ja richtig - das Herzstück dieses Ortes war ein mehrstöckiges Baumhaus. Es war urig und magisch, verwinkelt und groß. Es reichte hoch bis in den Baum, der sein Gerüst sicher trug.

Doch das Café war geschlossen. Wir wollten schon wieder umdrehen, nachdem wir den Ort kurz erkundigt hatten, bevor eine Dame und sah und ansprach. Heute Abend begann das Lunar New Year und somit war kein Betrieb. Doch sie meinte, es wäre okay und wir könnte uns setzen. Unsicher über ihr Angebot nahmen wir es letztendlich doch an und machten es uns gemütlich, ganz oben im Baumhaus.

Wie sehr ich diese Ruhe vermisst habe und es tue, jeden Moment, in dem ich nicht in diesem Baumhaus sitze. Es war ein halb geschlossener Raum, sodass wir gut vor dem Wind geschützt waren. Nach vorne hin war es auf und wir hatten den fantastischsten Blick über die grüne Landschaft mit ihren Hügeln und Tälern. Zu hören war nur der Wind und die Vögel. Ich fühlte mich wie umwogen von dem Baum und dem Wind, der durch ihn streifte. In der Ferne ein Feuerwerk - so viel, was hier zusammenkam. Endlich konnte man sich darauf wieder konzentrieren. Auf diese kleinen Akzente des Moments, die so leise kommen und so leicht verfliegen, doch kostbar sind wie nichts sonst. Der Stoff des Lebens sind, seine Magie, und so oft unerreichbar.

Was alles zusammen kommt. Was alles zusammen kommen musste, um diesen Moment möglich zu machen. Das ist schon fast unglaublich. Und doch passiert ist. Hier und jetzt.


Samstag

Das Glück war auf unserer Seite und so lernten wie Mula kennen. Eine Frau aus Taipei, die über das neue Jahr nach Hengchun auf Urlaub kam. Sie wollte die thermischen Quellen nähe der Stadt besuchen. Wir verstanden uns gut und so begleiteten wir sie. Mula machte das unfassbar froh. Uns auch.

Die Therme, die wir besuchten, hatte Mula extra ausgesucht, weil man hier nackt sein konnte. Während das für Helia und mich auf jeden Fall neu war, fand ich es doch klasse und wusste, dass es mir gefallen würde.

Es war ein kleiner Bereich, der für das nackt thermieren reserviert war. Ein kaltes, ein warmes und ein heißes Becken gab es dort. Die Frauen, die bereits das Wasser genossen sahen aus, als wäre dies ihre wöchentliche Routine. Als wären sie jeden Samstag hier, als wäre dies ihr Platz fürs klönen und quatschen. Wir verstanden kein Wort von dem, was sie sprachen und ich war selten okayer damit. Es verlieh der Erfahrung ihre Einzigartigkeit. Das einzige, was ich verstand waren die lieben, warmen Blicke der Frauen, die sich offensichtlich freuten, uns da zu haben. Mula übersetzte etwas. Die Damen meinten, dass wir uns so gut benehmen würden und doch so hübsch wären. Selten habe ich mich so wohl gefühlt, wie hier.

Von Körpern umgeben zu sein an einem Ort so frei von Wertung und Oberflächlichkeit. Es nahm mir all meine Scham. Wir alle haben einen Körper und er ist nicht mehr und nicht weniger, als das: ein Körper. Ein Körper, der uns dieses wunderbare Leben mit all seinen Geschenken erleben lässt. Der es uns ermöglicht uns fortzubewegen und Dinge zu machen, die Spaß und Wohlgefühl bringen. Ich wollte mich weniger über meinen definieren. Seinem Aussehen weniger Beachtung schenken und seinem Gefühl dafür mehr.


Ich merke, wie gut es mir tut über meine Zeit an einem Ort zu schreiben, wenn sie vergangen ist. Es ist wie ein kleiner Abschluss. Ich lasse die Zeit revue passieren und finde darin nochmal so viel mehr. Finde darin Magie und die Besonderheit der alltäglichen Dinge.

So weiß ich nicht wer von euch diese langen Texte überhaupt liest. Doch auch, wenn es keiner tut und auch, wenn es nur einer tut - für mich ist das hier, wie die beste Medizin. Zu schreiben in meinem Ton, nach meiner Wortwahl und ohne, dass jemand kommt und es korrigieren will.

Claude, Zo, Helia