die gedimmte Stadt

die gedimmte Stadt
Keelung, Taiwan

Freitag, 05. April 2024

Keelung, Nord Taiwan

Ein Schleier von Dunst liegt über der Stadt. Die Nässe ist das Element dieses Ortes. Macht sie zu dem, was sie ist. Lässt sie sein, wie sie ist.

Wolken so tief hängend - oder ist das schon der Himmel? Das ist hier meist schwer zu sagen. Keelung ist in ein dumpfes grau-grün getränkt. Bäume und Gebäude werden eins in der Ferne. In diesem Ort strahlt nichts außer der grellen Lichter der Reklametafeln.

Sollte die Stadt mal gestrahlt haben, sind diese Tage längst vorbei. Der Regen wäscht die Gebäude schon lange nicht mehr rein. Der Lack ist ab und hat Platz gemacht für die darunter liegende Schicht, voller Ehrlichkeit und Charme.

Es wirkt, als gebe es ein stilles Übereinkommen zwischen Land und Stadt. Als wären die beiden eine Symbiose eingegangen. Das passt alles.


Keelung quetscht sich zwischen das Südchinesische Meer und die Hügel der Küste Taiwans. Der viele Regen lässt sie im grünsten Grün erscheinen. An den meisten Tagen hängen Wolken träge um sie herum. Verschlafen liegt die Stadt hier in ihrer Heimat.

Durchzogen von einem schmalen Kanal, welcher nur ein paar hundert Meter in der Länge misst. Wofür er geschaffen wurde, das weiß ich nicht. Doch er bietet den Menschen einen Ort für Spaziergänge und fürs Fischen und er schafft Platz in einem Raum, der ansonsten dicht bebaut ist.

Eine Stadt, zwei Körper von Wasser, 3 oder 4 Hauptstraßen. Dem inne wohnen unzählige enge, hohe Gassen. Sie stehen mit dem Rest der Stadt im Gegensatz. Sie sind wo die Menschen leben, wo sie wohnen. Kein Gedränge mehr, kein Verkehr. Immer noch mitten drin, ist es auf einmal etwas stiller.

In diesen Gassen führt der Weg aus der Stadt hinaus. An ihrem Ende: der Beginn grüner, hoch gewachsener Wälder auf steilen Berghängen. Treppen führen zu ihnen und zu den alten Häusern hinauf. Erklimmt man die Stufen, egal welche und egal wo, findet man sich wieder mit einem Blick über die gesamte Nachbarschaft. Bemooste Wellblechdächer und alles andere, was man von unten nicht sehen kann, kommt hier zum Vorschein. Um 180 Grad scheint die Stadt gedreht.

Hier, an den Rändern der Stadt, ist es, als wurde das Volumenrädchen ganz runter gedreht. Als hätte man eine unsichtbare Wand durchquert. Aus Stadt wird Dorf und es ist wunderbar.


Zurück im Getummel Keelungs - versteckte Märkte in Häusergassen und entlang viel befahrener Straßen. Sie sind überall da, wo Platz ist und auch da, wo keiner ist. Die Marktkultur ist groß in der kleinen Stadt. Man findet einen zu jeder Zeit des Tages.

Wofür sie immer Platz haben ist Zusammenkunft. Auf Plastikstühlen in Kreisen zusammengestellt sitzen die alten Frauen. Über wie viele Jahre sie hier wohl schon zusammenkommen und worüber hier wohl alles getratscht wird?

Ein Markt ist anders als all die anderen, sticht heraus. Der Nachtmarkt von Keelung nimmt sich allen Platz, den er braucht. Er ist einer der rummeligsten, den ich in diesem Land erleben durfte und dadurch gleichzeitig einer der aufregendsten.


18:13 Die Dämmerung ist schon fast vorüber und die Nacht macht sich bereit sich, um sich über die Stadt zu legen. Doch zur Ruhe kann auch sie Keelung nicht bringen.

Hier am Fluss hat man eine gute Sicht auf all die Lichter, ist etwas abseits vom Trubel und doch immer noch mittendrin. Die Reklametafeln und Ladenfronten leuchten grell in dem ansonsten so gedimmten Keelung. Ihr Schein spiegelt sich im nun dunklen Wasser des Kanals wieder und lässt so ein kleines Lichtermeer entstehen. Bunt funkelt das ansonsten graue Gewässer. Das Licht der Stadt ist das einzige, was ihm je Farbe verleihen wird.

Entlang des Ufers gleicht kein Haus dem anderen. Weder von innen noch von außen. Was sich wohl alles hinter ihren Mauern versteckt hält?

Ein anderer Duft an jeder Straßenecke. Die Gehwege sind eng, wie überall. Hier und da ertönt die Melodie des Müllfahrzeugs.


Die Menschen gehen ihrem Tag nach. Sie laufen von a nach b, sind immer unterwegs, so scheint es zumindest. Es ist ihre Stadt. Die Alten und die Jungen teilen sich den Weg am Kanal für den nächtlichen Spaziergang. Hier und da wird geangelt. Man kennt sich, irgendwie.

Diese Stadt wird so belebt, wirkt abgenutzt und geliebt. Sie ist nahbar und persönlich. Sie hat so viel Gemeinschaft, ist so vertraut mit sich.

Keelungs Farben - abgewaschen. Nur allzu oft verschwimmt ihre Umrandung, wird eins mit dem Hintergrund.


Man könnte noch 100 Jahre durch diesen Ort laufen und würde doch immer noch neues entdecken. Dass alles im ständigen Wandel ist, wird in Keelung einmal mehr deutlich.

Alles ist so anders als in dem Teil der Welt, den ich mein Zuhause nenne. Ich denke die Schönheit davon kann man meinen Worten ohne Mühe entnehmen.