der Stoff aus dem mein Leben ist
Das beste, was ich tun kann ist im Moment zu sein. Es ist das beste für mich und genauso für alle anderen. Für die Menschen die mich kennen und genauso für die, die ich nicht kenne.

Freitag, 29. März 2024
Keelung, Nord Taiwan
Gestern begann es mir nicht gut zu gehen. Es war Abend geworden, ich hatte den Nachmittag arbeitend am Computer verbracht. Alles war eigentlich gut. Mein Weg nach Hause führte mich einmal quer durch die Stadt von Keelung. Von ganz im Westen nach ganz gen Osten. Ich hörte einem Podcast zu, wie so oft an diesen Tagen. Es tut mir gut. Gleichzeitig sorgen die Inhalte für Rumore in mir. Die Straßen waren voll. Sie waren laut und rummelig, wie immer.

Der Inhalt des Podcasts... er brachte mich zum nachdenken. Gedanken kamen ins rollen und ehe ich mich umsehen konnte, war ich nicht mehr hier.
So geschah es, dass ich ganz unscheinbar aus dem Moment fiel. Gedanken trieben mich davon. Raus auf's Meer, wo es mir doch so viel besser geht, schaue ich dem Getose vom Ufer aus zu.
Später am Abend dann war ich in einem solch klebrigen Gedankengerüst gefangen, dass der stabile Boden des Jetzt gänzlich verschwunden war. Die vielen Gedanken an die Zukunft füllten mich mit Sorgen, denn ich bemerkte: ich habe keine Ahnung, was die Zukunft bringt. Ich weiß nicht, wohin es geht, wer ich sein will, mit wem ich sein will.
Zwar wusste ich das nimmer, aber grade ist es vielleicht unklar, wie nie zuvor.
Sag mir, geht es dir auch so?
Dass immer, wenn du an die Zukunft denkst, an all die Dinge, die es noch zu machen und zu erleben gilt, Panik einsetzt? Ein Gefühl von Überwältigung deinen Körper überfällt?
"Zu viel, zu viel!", schreit es in meinem Kopf.
Der kleine Zwerg da oben verliert den Überblick, er will sich einfach wieder in seinem gemütlichen Heim verstecken, sorglos und ruhig sein Leben begehen.
Das passiert so jedes mal. Wo ich grade noch der Zukunft hinterherlief, sie einfangen wollte, da will sie nun mich kriegen. Da jagt sie mir nach, infiltriert meine Gedanken und macht mich schlaflos. Wie ein Monster, dass man weckt. Ich sollte es besser schlafen lassen.

Reclaiming myself
Das Ding ist, in den letzten Wochen habe ich bemerkt, dass diese Gedanken Unsinn sind.
Uns wird ständig weis gemacht, wir wären verloren, wenn wir nicht wissen wo es lang geht. Menschen fragen mich, wie lange ich "diesen Lifestyle" noch leben will und sind gar fassungslos, wenn ich ihnen darauf keine Antwort geben kann.
Du weißt nicht, wo du in 5 Jahren sein willst?
Nicht, welchen Job du arbeiten willst und hast noch nicht das eine Ding gefunden, dass dich dein Leben lang begleiten soll?
Nein [insert german name for a Karen], das habe ich nicht. Und ich bin ziemlich davon überzeugt, dass ich das auch nicht muss.
Warum?
Weil wir die Zukunft nicht voraussagen können. Auch nicht, wenn wir uns ein gewisses Szenario noch so sehr wünschen. Denn jede Anhänglichkeit an eine Vorstellung davon, wie etwas sein wird, führt zu Enttäuschung. Es kommt immer anders, als wir denken. Alles ist stets im Wandel. Keines unserer Gefühle, keiner unserer Gedanken bleibt für immer. Alles positive, genauso wie alles negative vergeht irgendwann, wandelt sich und wird zu etwas anderem.
So bemerke ich dadurch aufs Neue, dass das einzige, was Sinn ergibt ist, im Moment zu leben.

Warum ist "im Moment zu leben" das Einzige, was Sinn macht und was heißt das überhaupt?
Im Moment zu leben bedeutet, dass wir uns keine Gedanken und Sorgen um Vergangenes oder Bevorstehendes machen. Es bedeutet weniger in seinem Kopf zu sein und mehr in der Wirklichkeit. Mehr in dem Leben, was gerade vor uns passiert. Zu spüren und sich daran zu erinnern, dass die Zeit unaufhörlich vergeht und wir nur das Jetzt haben, um zu handeln.
So kann ich an mein vergangenes Ich denken, doch das ist passiv. Das Ich vor einem Jahr ist passiert, daran kann ich nichts ändern. Die einzige Möglichkeit für Veränderung liegt im Jetzt.
Ich kann an mein zukünftiges Ich denken. Kann mir den Kopf darüber zerbrechen, wer ich sein will, wie ich sein will. Doch woraus entsteht mein zukünftiges Ich? Aus den Entscheidungen die ich jetzt treffe.
Wer wir sind ist eine Summe von Entscheidungen. Entscheidungen, die uns an verschiedene Orte und zu unterschiedlichen Menschen geführt haben. Sie haben alle ihren Einfluss auf uns, lassen uns verschiedenes fühlen und sehen.
So habe ich mich dafür entschieden nach Taiwan zu reisen und alles, was ich hier erlebt habe hat das Ich, dass ich zu diesem Zeitpunkt bin, geformt und geprägt.

Zweifel und Konflikt
Ich kann mir gut vorstellen, dass es für einige Menschen nach einer naiven Vorstellung klingt. Ich weiß, dass das Leben vieler voller Sorgen ist und sich so viele machtlos fühlen gegenüber allem, was in dieser Welt und in ihrem Leben passiert.
Wir machen uns Sorgen ums Alter und unsere Finanzen. Um unsere Gesundheit, die unserer Lieben Menschen, die unserer Umwelt. Wir denken wir müssen gewissen Standards und Vorstellungen entsprechen, oder wollen das vielleicht sogar.
Wir sorgen uns um Sicherheit und werden jeden Tag ernüchtert von der Welle an furchtbaren Nachrichten.
Und ehrlich, ich habe noch keine universelle Antwort darauf, wie wir uns von all diesen Sorgen lösen können. Doch zu versuchen so gut, wie möglich im Hier und Jetzt verankert zu sein ist, was mir hilft.
Denn dadurch nehme ich mehr wahr, was ich alles hab. Ich bin mir des Leids der Welt bewusst, doch gleichzeitig sehe ich all die Schönheit von der ich umgeben bin. Ich weiß, es gibt Krankheit und Leid, doch ich weiß auch, dass ich dem nur bis zu einem gewissen Punkt Abhilfe leisten kann. Tue ich, was ich tun kann, ist das alles, was zählt.
Zu erkennen, dass ein jeder Mensch andere Veranlagungen hat, andere Interessen, einen anderen Fokus, lässt mich mehr & mehr akzeptieren, dass ich nicht die komplette Welt retten kann. Und so ist es in meinem Kopf ruhiger, ich hab mehr Frieden und kann ein besserer Mensch sein für diese Welt.
Lebe ich im Moment, dann bin ich aufmerksam und empfänglich für Gefühle und Gedanken, die hochkommen. Ich bin aufmerksam, wenn Unzufriedenheit und Frustration hochkommen. Sie sind ein Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmt und ich vielleicht etwas ändern muss.

Ist es nicht manchmal auch gut sich Sorgen zu machen?
Ich denke es gibt einen Unterschied zwischen sich Sorgen machen und sich Gedanken machen. Ersteres ist emotional, letzteres kann rationaler sein.
In der Welt, in der wir leben ist es nicht möglich gar nicht an den morgigen Tag zu denken. Darum geht es mir auch gar nicht. Es geht einzig und allein darum, sich nicht auf Momente der Vergangenheit und Zukunft zu fixieren.
Können wir vielleicht an etwas denken ohne, dass es die Gegenwart komplett einnimmt?
Können wir Pläne machen ohne, dass wir uns an ein gewisses outcome binden, dessen nicht-Erfüllung uns enttäuschen wird?
Können wir in Erinnerungen schwelgen ohne, dass wir die Gedanken ständig mit uns rumtragen?
In meinem Kopf macht sich beim schreiben dieser Worte ein Bild breit. Losgelöst von schweren Erinnerungen und Sorgen über was kommt sind wir leicht wie ein Blatt. Bewegen wir uns frei wie der Wind, fließen sorglos, wie das Wasser. Dann sind da keine Fäden an meinem Körper befestigt, die mich in verschiedene Richtung zerren. Dann sind meine Gedanken nur mit dem was ich grade sehe, fühle, rieche, erlebe.
Dieser Zustand des Seins ist alles wonach ich strebe. Denn er macht meinen Kopf frei, wodurch es mir möglich wird, die beste Version meiner Selbst zu sein. Dann habe ich Energie, um für andere Menschen da zu sein. Zu helfen, wo Hilfe benötigt wird. Dann trage ich Geduld und Wohlwollen in mir. Dann bin ich zufrieden mit was ich habe und frei von verlangen.

Wie schafft man es ganz im Moment zu sein?
Ich glaube, dass ist eine Reise, die jeder für sich selbst begehen muss und etwas, dass jeden Tag anders aussieht. Ich weiß - dass ist wahrscheinlich keine zufriedenstellende Antwort.
Manchmal sind es Worte, die mich zurück in den Moment holen. Mir zu sagen, dass ich ganz bei mir bin, mit Ruhe und Kraft, das hilft. Mir zu sagen, dass ich mir keine Sorgen machen muss, ich alles unter Kontrolle habe, das hilft.
Manchmal sind es Momente, die mich zurück ins Jetzt holen. Draußen im Regen zu stehen, die Tropfen auf meiner Haut zu fühlen und ihr Fallen in Pfützen zu beobachten, das hilft. Jemandem mit Kuchen zu überraschen, an die Person zu denken und dann die freudige Reaktion zu erleben, das hilft.
Weiterhin habe ich für mich drei Werte gefunden, die, wenn ich sie an der Oberfläche meiner Gedanken halte, mich im Moment halten.
Achtsamkeit, Geduld, Hingabe.
Achtsamkeit
Ich laufe durch die Straßen mit offenen Augen und sehe Dinge, die mich erfreuen. Die verschieden farbigen Knöpfe, die die ältere Dame an ihrer Bluse hat, um etwas mehr Farbe ins Leben zu holen. Das junge Mädchen, was mit ihren Hunden spielt und mich an die Tage mit meinem Hund erinnert, an denen ich so froh war. Die knallgrünen Blätter der Bäume, im Wind wehend. Eine Schönheit, die ich so überall auf der Welt sehen kann.
Geduld
Der Gehweg ist eng und selten ist genug Platz für alle, um aneinander vorbei zu laufen. Mit Geduld lasse ich Menschen den Vortritt. Das fordert manchmal ganz schön viel von mir. Doch öfter als gedacht bekomme ich ein Lächeln zurück. In einer Stadt, in der ich eine Fremde bin ist das so ein wohliges Gefühl.
Hingabe
Ich höre jemandem zu, denn ganz offensichtlich braucht mein Gegenüber grade nichts weiter, als das. Oft habe ich die Chance verpasst jemanden wirklich zu verstehen, weil ich während ich zuhörte nur darauf pochte endlich meine schlaue Antwort geben zu können. Geduldig lege ich mein Ego zur Seite und gebe mich dem Gespräch ganz hin. In meinem Kopf ist es ganz ruhig. Jetzt ist nichts wichtig, außer hier zu sein und zuzuhören. Ich bin ganz da. Gut für mich und mein Gegenüber.

Was jetzt?
Ich bin sicher, es macht keinen Sinn irgendwo anders zu sein als im Jetzt und Hier. Bin ich es nicht, dann verpasse ich, was ich wirkliche fühle und wenn ich das verpasse, dann kann ich niemals wissen, was ich für die Zukunft will. Dann kann ich keine Entscheidungen treffen, die wirklich gut für mich sind. Denn die Person, um die es geht ist nicht die, die vor einem Jahr oder vor 2 gelebt hat. Es ist die, die hier gerade die Buchstaben in die Tasten tippt. Um sie geht es, um sie ganz allein.
Also versuche ich jetzt jedes Mal, wenn meine Gedanken einen Sprung in die Zukunft machen, mich wieder ins Jetzt zu holen.
Jedes Mal, wenn ich in Panik darüber verfallen will, dass ich nicht weiß, was sein wird und wo ich sein werde, dann erinnere ich mich daran, dass das okay ist und ich es gar nicht wissen kann. Zu viele Möglichkeiten schweben in der Luft herum. Unendlich viele, wenn du so willst.
Ja, von dem Punkt, an dem ich stehe, kann es weiter gehen in alle Richtungen.
Von dem Punkt, von dem aus ich denke, können mich Träume und Ideen an jeden Ort der Welt tragen. So verschwende ich nur kostbare Zeit und Energie, wenn ich wiedermal versuche mir die Zukunft heranzuziehen, sie in mein Sichtfeld zu kriegen.
Ich gebe damit mein größtes Geschenk weg: meine Aufmerksamkeit. Die, die mich all das hier sehen und erleben lässt. Ich brauch nur ne Minute daran zu denken, um zu sehen, dass nichts es wert ist meine Aufmerksamkeit aufzugeben.
Ich werde gehen, ich werde lernen, ich werde sehen. Dafür nehme ich das Leben, wie es kommt. Achte auf meine Gefühle, wie sie kommen. Nehme den Weg des geringsten Widerstands, bisschen so, wie ein Fluss, der sich seinen Weg den Berg hinab schlängelt.
Das es gut ist, sich ein Beispiel am Wasser zu nehmen, das habe ich schon oft gehört. Es scheint mir ein guter Lehrer zu sein.
